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Irrweg Grundeinkommen

Die große Umverteilung von unten nach oben muss beendet werden

Heiner Flassbeck, Friederike Spiecker, Volker Meinhardt, Dieter Vesper


Verteilungsfragen treten mehr und mehr in den Mittelpunkt der politischen Debatte. Nach dreißig Jahren der Umverteilung von unten nach oben im Markt selbst und zusätzlich durch den Staat ist der Frage nicht mehr auszuweichen, was es gebracht hat. All die Heilsversprechen, mit denen die Reformen des "überzogenen" Wohlfahrtsstaates seit der ersten Regierung Kohl bis heute begründet wurden, haben sich nicht erfüllt. Die tatsächliche Arbeitslosigkeit (im Gegensatz zur gemessenen) ist weiter hoch, die Investitionstätigkeit der Unternehmen ist extrem schwach, und die Auswüchse der Einkommensverteilung, die in den irrsinnigen Gehältern der „Finanzindustrie“ ihren klarsten Ausdruck finden, zerstören den gesellschaftlichen Zusammenhalt bis hin zur Gefährdung der Demokratie. Deutschland, das Land, das nach der Jahrtausendwende am konsequentesten die neoliberale Umverteilungsagenda von unten nach oben umgesetzt hat, hat sich mit diesem Sonderweg in Europa nur scheinbar etwas mehr Luft verschafft: De facto ringen auch in unserem Land viele Menschen ökonomisch gesehen nach Atem. Da Deutschland mit dieser Politik die Grundfesten Europas schwer erschüttert, muss man ein Scheitern auf der ganzen Linie konstatieren.

Es ist naheliegend, dass die Menschen in einer solchen Situation nach einfachen und radikalen Lösungen suchen. Für den Normalbürger ist es praktisch unmöglich einzuordnen, was genau geschieht, und vor allem, warum. Er sieht, dass sich die Verhältnisse radikal ändern, dass er Einkommenszuwächse nicht mehr automatisch erwarten kann, selbst wenn die Wirtschaft wächst, und er macht sich seinen eigenen Reim darauf. Der läuft aber fast immer darauf hinaus, dass „härtere Zeiten“ angebrochen seien. Nichts glaubt man leichter, als dass man selbst gerade das „Ende der guten alten Zeiten“ erlebt. Viele Menschen sind überzeugt, dass gute Zeiten eher Zufall sind und dass man daher zwar dankbar sein muss für das, was man erreicht hat, aber nicht erwarten kann, dass es positiv weitergeht.

Warum nichts mehr so bleiben kann, wie es war, können Politiker dem Normalbürger auch ganz einfach plausibel machen: Das Auftreten neuer Mächte auf der Weltbühne wie China oder Indien, der damit verbundene Rationalisierungsdruck durch die Globalisierung oder die seit langem absehbare Alterung der Gesellschaft und andere unabweisbare Fakten wie Ressourcenknappheit und Klimawandel zwängen uns, den Gürtel auf Dauer enger zu schnallen und Härten zu ertragen, die der vorhergehenden Generation nicht hätten abverlangt werden müssen. Unterstützt wird diese Botschaft von orthodoxen Ökonomen und einer Medienlandschaft, die nichts lieber als genau diese eingängigen Erklärungsmuster transportiert, die alle auf das Motto hinauslaufen: Vergesst, was früher war; vergesst die Idee vom Wohlstand für alle; vergesst die Träume vom Wohlfahrtsstaat und dem sozialen Ausgleich; in der Welt von heute zählt das selbstverantwortliche Individuum, jeder kann und muss selbst seines Glückes Schmied sein, auch wenn das zu Härten führt, das ist eben der Preis der Freiheit.

Auch bei progressiv denkenden Bürgern und im politisch linken Spektrum trifft diese Botschaft auf einen fruchtbaren, wenn auch anderen Boden. Dort ist man vom Ende des Überflusses überzeugt, weil man ja weiß, dass es aus Gründen der Endlichkeit der Ressourcen und des Globus nicht so weitergehen kann wie bisher. Folglich wird in diesen Kreisen mit jeder neuen Krise das Ende des Kapitalismus, das Ende des Wachstums und das Ende der Ressourcenverschwendung ausgerufen und alle Energie darauf verwendet, wirklich durchgreifende Reformen in Gang zu setzen, die das System vollkommen umkrempeln sollen.

In dieser Situation ist es sehr leicht, auf beiden Seiten des politischen Spektrums mit einfachen, scheinbar überschaubaren Vorschlägen zu punkten, die diese Endzeitstimmung aufgreifen und eine „Lösung“ zu bieten scheinen, die dem Einzelnen ein Weiterleben in Würde erlauben, ihm dabei die Möglichkeit geben, sich aus dieser immer verrückter vor sich hin wirtschaftenden Gesellschaft zu verabschieden und sein Glück in der „Stille des Dorfteiches“ (Ralph Dahrendorf) zu suchen. Genau darum geht es beim bedingungslosen Grundeinkommen. Das aber macht es so gefährlich: Es schafft für Teile des rechten politischen Spektrums die Illusion, mit einem (möglichst geringen) "Einkommen für alle" darüber hinausgehende Verteilungsfragen dauerhaft zu unterbinden und so dem eigentlichen Ziel des Liberalismus näher zu kommen, den „Tüchtigen“ zukommen zu lassen, was sie am Markt erringen. Und es schafft auf der linken Seite die Illusion, die Armut erfolgreich zu bekämpfen und zugleich die ökologische Frage und die Frage nach den „wahren Werten“ des Lebens sinnvoll zu beantworten.

Diese große Koalition der Grundeinkommensbefürworter unterstellt, dass Verteilungsfragen sozusagen nur das Sahnehäubchen auf dem Kuchen der Marktwirtschaft sind, das man auf die ein oder andere Weise gestalten kann, ohne in den Kuchen selbst einzudringen. Beide Seiten glauben, wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Fragen weitgehend ausklammern und sich auf die Ausgestaltung ihrer jeweiligen Systeme konzentrieren zu können. Das aber ist falsch. Die Art der Verteilung der Einkommen ist entscheidend für das Funktionieren der Wirtschaft und deswegen sind Verteilungsfragen zutiefst und zuerst wirtschaftspolitische Fragen und können nicht befriedigend beantwortet werden, ohne sie in den Kontext einer erfolgversprechenden wirtschaftspolitischen Konzeption zu stellen.

Aber nur wenn verstanden wird, dass Verteilungsfragen und Verteilungskonzepte in eine wirtschaftspolitische Position eingebettet sein müssen, die auf einem realistischen Modell der Funktionsweise einer Marktwirtschaft beruht, kann man diese Fragen angemessen diskutieren und fruchtbare Ergebnisse erwarten. Genau dieser Frage, ob es mit der Funktionsweise einer Marktwirtschaft kompatibel ist, muss sich das Grundeinkommen, in welcher Variante auch immer, stellen. Dass ein Konzept wie das bedingungslose Grundeinkommen dabei schlecht abschneidet, ist nicht verwunderlich, weil hier in eklatanter Weise die Ziele des Konzepts die Diskussion dominieren, während die Frage der Einordnung des Konzepts in eine Theorie und eine Politik der wirtschaftlichen Entwicklung nur am Rande oder gar nicht diskutiert wird. Die Diskussion über solche Konzepte soll aber keinesfalls abgewürgt werden. Der Mindestlohn und eine negative Einkommensteuer zur sinnvollen Zusammenführung von Steuer- und Transfersystem sind absolut diskussionswürdig. Aber auch diese Ansätze dürfen nicht isoliert von der großen Frage betrachtet werden, welche Verteilung der Einkommen benötigt wird, damit eine auf Arbeitsteilung aufbauende Wirtschaft die Herausforderungen der Zukunft einschließlich der Frage des Überlebens der Menschheit auf einem begrenzten Planeten bewältigen kann.



Heiner Flassbeck: Irrweg Grundeinkommen


1. Auflage
12 November 2012

224 Seiten
13,5 x 21,5 cm

ISBN : 978-3-86489-006-2

EUR 16.99 [D]
EUR 17.50 [A]
SFR 24.90 [CH]

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